Sollen wir Ihr Projekt porträtieren?

Haben Sie eine Frage, der wir in einem Blogbeitrag nachgehen können? Senden Sie uns Ihre Hinweise und Ideen, und wir werden tätig. Dann lesen Sie hier bald schon einen Artikel - initiiert durch Ihren Impuls. Wir freuen uns über Ihre Zusendungen und Ihr Feedback!

Die Hervester Müllerin  – zwischen Traditionshandwerk und der neuen Begeisterung für ein Naturprodukt

Die Hervester Müllerin – zwischen Traditionshandwerk und der neuen Begeisterung für ein Naturprodukt

Wer nach Barbara Mense sucht, findet sie meist hinter der Theke des Bioladens an der Glück-auf-Straße in Dorsten – in die Beratung von Kunden vertieft, bei der Bestellung neuer Waren oder der Inspektion der Obst- und Gemüseauslage. Sie ist Pächterin und Aushängeschild des gut sortierten Naturkosthandels. Aber ihr ursprünglicher Arbeitsbereich liegt gleich nebenan, dort wo ein beständiger Lärmpegel herrscht, ein feiner Staubnebel weht und wo die Nase stets unterschwellig einen feinen Geruch nach Essbarem wahrnimmt, so dass der Magen nach wenigen Minuten unwillkürlich zu knurren beginnt – in der Mühle.

Hier bewegt sich die jugendlich wirkende Frau so sicher zwischen Walzenstühlen und Getreidezellen, wie sonst zwischen Biogouda und Naturkosmetik. Seit 1989 ist Barbara Mense die einzige Müllerin in einem weiten Umkreis. Seitdem sie vor 20 Jahren die Mühle von ihrem Vater übernahm, führt sie in der Familie das Müllerhandwerk in der fünften Generation fort. Aber zum ersten Mal liegt die Familientradition in den Händen einer Frau.

Eine Mühlen-Führung

„Das Getreide, das wir ankaufen, kommt erst einmal in die großen Silos hinter dem Mühlengebäude.“ Ich folge durch enge Gänge und Türen, denn dort beginnt der Rundgang durch Barbara Menses Refugium. Getreide für einen Monat kann hier hinten gelagert werden, wenn es von der Genossenschaft kommt und somit von den Feldern Raesfelds, Borkens oder aus dem Recklinghäuser Raum. „Damit haben wir ein regionales Produkt mit kurzen Wegen, aber streng überwacht“, sagt Barbara Mense. Regelmäßig werden Proben genommen und ins Labor geschickt. „Glyphosat haben wir bisher zum Glück noch nie in unserem Getreide gefunden.“ Das freut Barbara Mense. Denn auch wenn sie zu einem großen Teil konventionell angebaute Getreidelieferungen weiterverarbeitet: „Mein Herz schlägt für Bio.“  

Ihr Großvater Wilhelm Mense hatte am gleichen Standort vor allem Futtermittel verkauft – in der „Futter- und Mehlhandlung Mense“. Das war in den 1930er Jahren. Damals brachte Wilhelm täglich Säcke mit Tierfutter in die umliegenden Straßen der Zechensiedlung, denn jede Familie hielt Tiere im Gärtchen des kleine Zechenhauses. Erst in den 70er Jahren baute sein Sohn und Barbaras Vater, ebenfalls Wilhelm Mense, die Speisemehlherstellung aus. Klein Barbara spielte da am Wochenende Verstecken in der Mühle und badete im Sommer gerne im Strom des Getreides, wenn keiner guckte. Ein selbstverständliches Hineinwachsen in das Leben und Arbeiten in der Mühle.

Konventionelles und Bio-Getreide

Gerade fährt ein Privatkunde sein Auto rückwärts an die Rampe, um einen 25-Kilo-Sack Mehl in den Kofferraum zu laden. Ein Angestellter schiebt die Ware mit der Sackkarre aus der Mühle. Bio-Ware sei das, meint Barbara Mense nach einem schnellen Blick. Hier geht beides über die Theke bzw. über die Rampe: Konventionell angebautes und streng kontrolliertes Bio-Mehl.

Wenn irgendwann doch die Industriemühlen, also solche in Fabrikgröße, den kleinen Mühlen das Geschäft streitig machen, könnte das eine Nische sein, in der Barbara Mense sich schon gut auskennt: Bio-Getreide oder alte, wiederentdeckte Körner wie Emmer, Grünkern, Kamut oder Einkorn. Für die Müllerin ist ihr Handwerk vor allem die Arbeit mit einem Naturprodukt, das in erster Linie nährend ist, sinnlich und bei dem jede Lieferung anders ausfällt als die vorangegangene. Sie fühlt sich auch eher als Müllerin, anstatt die heute übliche Berufsbezeichnung zu verwenden: Verfahrenstechnologin in der Mühlen- und Futtermittelwirtschaft. Vielleicht auch, weil sich das Mahlverfahren in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert hat. Immer noch wird auf Stahlwalzen gemahlen in Hervest, wie eh und je.

Mahlen auf drei Etagen

Im großen Raum neben dem Bioladen arbeiten mehrere Walzenstühle, zu denen lange Metallrohre aus der Decke hinführen. Immer wieder hält die Müllerin eine Hand in den feinen Schrotregen über den Walzen, um den Feinheitsgrad des Getreides zu zeigen, der hier gerade erreicht wird. Während die Hausherrin auf zig Transportwege deutet, die erst das Korn, dann Schrot und Gries und später das Mehl von einer Station zur anderen bringen, verlieren Besucher sofort den Überblick. Denn gemahlen, gesiebt und sortiert wird in einem halbautomatischen Prozess über drei Etagen und durch unzählige Rohre.   

Zwölf Passagen, so ist der Fachbegriff, gibt es heute in der Mühle Mense. Ganz zu Beginn war es nur eine. Großvater Mense musste das Mehl den gleichen Weg noch einmal schicken, wenn es noch nicht fein genug war. Heute werden die einzelnen Bestandteile des Roggens – denn hier werden zu 95 Prozent Roggenkörner verarbeitet – immer wieder getrennt, weiterverarbeitet und später neu zusammengemischt, für die perfekte Backqualität des Mehls. So können die Mitarbeiter der Mühle feinjustieren und je nach Qualität des angelieferten Getreides sofort reagieren.

Gute Backqualität – eine Wissenschaft für sich

In einem klitzekleinen Labor hinter dem Laden steht der Amylograph, ein wichtiges Messgerät in jeder Roggenmühle. „Wir messen für jede Lieferung die Enzymaktivität im Getreide“ , erklärt Barbara Mense. Das sei vor allem beim Roggen sehr wichtig. Bei einer sehr feuchten Witterung, besonders kurz vor der Ernte, werden Enzyme aktiv, die im Getreidekorn Stärke abbauen. Die Stärke fehlt dann beim Backen oder im Backprozess. Auch deshalb sind in jeder Anlieferung in der Regel Mischungen aus verschiedenen Sorten. Barbara Mense zeigt das an einer Handvoll grüngrauer Roggenkörner. Es sind größere schlanke dabei und kürzere rundliche. Im Zusammenspiel und durch die Expertise während des Mahlvorgangs entsteht immer ein hervorragendes Mehl, das vor allem der Bäckereigroßhandel gerne abnimmt. „Mein Beruf ist sehr abwechslungsreich“, lächelt Barbara Mense. „Die kaufmännische Seite ist wichtig, aber ich kann auch derbe mit anpacken. Und letztlich gehe ich mit einem spannenden Naturprodukt um, das einen individuellen Umgang erfordert.“

Müllerin – das ist gar kein so angestaubter Beruf, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Außer, dass ständig an der Weste, auf den Schuhen oder Haaren ein feiner weißer Nebel liegt. Brot und damit Mehl sind wieder in. Die Basis-Backwaren sind urtümliche Lebensmittel. Und der Trend, gerade während Corona, geht wieder zurück zu den einfachen, guten Dingen, von denen Kunden sich zwischenzeitig ein wenig entfremdet hatten. Jetzt wird auch zu Hause wieder gerührt, geknetet und gebacken.

Mit Leib und Seele Müllerin

Irgendetwas läuft nicht ganz rund im Plansichter auf der ersten Etage. Ein bisschen Mehl liegt auf dem Boden, das da eigentlich nicht hingehört. Barbara Menses Augen und Ohren nehmen die kleinste Störung im Vorbeigehen war. Für das ungeübte Ohr wabert eine Kakophonie aus dem Lärm verschiedener Antriebsbänder, Mahlwerke und Gebläse durch die Mühle; für die Müllerin ist es ein perfektes Orchester vieler einzelner Instrumente, bei dem sie sofort heraushört, wenn eines nicht im Takt spielt.

Treibriemen, rüttelnde Siebe, Mehlsäcke und die urig knarzenden Holztreppen im alten Gemäuer – vor lauter nostalgischen Gefühlen kann man schnell verkennen, wie effektiv hier produziert wird. Und je besser Barbara Mense ihren Job macht, desto leichter haben Bäcker und Konditoren es, die das Mehl aus Hervest-Dorsten verbacken. Wie gut, dass sie für ihr Handwerk brennt, oder vielmehr für alles von der Ähre auf dem Feld bis zum duftenden Brot in ihrem Bioladen-Regal. „Der Bäckerberuf ist ein toller Beruf, aber er ist zu wenig wertgeschätzt. Viele denken, dass Brot und Brötchen nur noch aus Fertigbackmischungen hergestellt werden. Aber eine große Zahl an Bäckern haben ihre eigene Sauerteigmaschine und lassen dem Teig die Zeit, die er braucht, um später zu einem duftenden Brot zu werden.“ Barbara Mense ist selbst begeisterte Freizeit-Bäckerin. „Backen macht glücklich“, ist ihr Wahlspruch. Und die gleiche Liebe, die in ihrer Küche in den Teig gearbeitet wird, fließt hier in den Mahlvorgang, bei dem in der Hervester Mühle aus Korn Mehl wird.

Mühle Mense
Glück Auf - Str.17
46284 Dorsten
Tel: 023 62/7 72 64
Fax: 023 62/7 72 66
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Web: www.mense-muehle.de

Öffnungszeiten
Montag bis Freitag:
09.00 - 13.00 Uhr
14.00 - 18.00 Uhr
Samstag:
09.00 - 13.00 Uhr

IMG_6813 IMG_6816 IMG_6823 IMG_6824 IMG_6829 IMG_6830 IMG_6832
Diese Website verwendet technisch notwendige Cookies, um Ihnen die bestmögliche Funktionalität bieten zu können.