Deutschland hatte sich für 2020 eine Menge vorgenommen: 40 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen als im Jahr 1990. Trotz des sehr milden Winters Anfang 2020 sah es ganz danach aus, als wäre dieses ambitionierte Ziel nicht zu erreichen. Bis Corona. Und jetzt ist alles anders.
Also ist weniger Umweltverschmutzung nur möglich, wenn die Wirtschaft am Boden liegt? Nicht ganz: Uns kommt auch entgegen, dass wir bereits im vergangenen Jahr einen Rekord hingelegt haben mit 35,7 Prozent weniger Emissionen als 1990, das bedeutet einen Rückgang um 6,3 Prozent in 2019. „Deutschland bewegt sich in die richtige Richtung“, sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. Aber bei Wind- und Sonnenstrom „ruhen wir uns auf den Lorbeeren der letzten zwanzig Jahre aus“. So steht es im aktuellen Bericht des Umweltbundesamtes.
Die erzwungene Corona-Rezession passt in den Plan: Kaum Flugzeuge am Himmel, viele Menschen im Homeoffice und nicht auf der Pendelstrecke, keine Urlaubsreisen, weniger Bautätigkeit, kaum Handel, weniger Produktion. Aber ein nachhaltiger Plan für die Umwelt ist das nicht. Nach Ende der Corona-Auszeit wird das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder angekurbelt, mindestens auf das Maß von vorher, wenn es nicht sogar einiges aufzuholen gilt – ein sogenannter Rebound-Effekt. Zudem liegt die Forschung an zukunftsfähiger Technologie im Moment brach, und eine Wirtschaft, die sich erst einmal erholen muss, ist sicherlich nicht besonders innovationsfreudig.
Trotzdem ist es spannend zu verfolgen, wie die anerkannten Klimaforschungsinstitute die ökologischen Folgen des Shutdowns während der Corona-Krise bewerten. NASA-Daten aus den vergangenen Monaten zeigen einen klaren Trend. Zum Beispiel in China verschwanden die Schadstoffe sichtbar nach und nach aus der Luft. In Indien ist noch nie ein so geringer Wert an Schadstoffeintragung durch den Verkehr gemessen worden, meldet das finnische Center for Research on Energy and Clean Air. Auch für New York City haben Forscher der Columbia University einen 50-prozentigen Rückgang giftigen Kohlenmonoxids in der Luft gemessen: Dort, wo das Virus bisher in den USA am schlimmsten zugeschlagen hat. Und wir können unsere eigenen Sinne anstrengen: Ist die Luft, die wir momentan auf unseren einsamen Spaziergängen atmen sauberer? Ist die Dunstglocke über den Metropolen weniger garstig-braun?
Mindesten 50 Mio. Tonnen weniger CO2 in 2020
Die Agora Energiewende-Denkfabrik legt konkrete Zahlen vor, deren Entstehung im Originalbericht nachvollzogen werden können: „Im Ergebnis erwarten wir, dass die Emissionen in Deutschland im Jahr 2020 um mindestens 50 Millionen Tonnen CO2 gegenüber 2019 sinken. Je nach dem weiterem Verlauf der Corona-Krise können es bis zu 120 Millionen Tonnen CO2-Minderung werden. Das würde im Ergebnis ein Rückgang der Treibhausgasemissionen um 40 bis 45 Prozent gegenüber 1990 bedeuten. In einem mittleren Szenario dürften es -80 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem Vorjahr bzw. -42 Prozent gegenüber 1990 werden.“ Die gute Nachricht verbindet auch Agora mit einer Warnung: „Auch wenn die Emissionen 2020 durch die Corona-Krise deutlich sinken werden, ist dies per se keine gute Nachricht für den Klimaschutz.“
Einmaliger Effekt mit der Gefahr, dass alles nachgeholt wird
Das Wuppertal-Institut für Klimafolgenforschung erwartet, dass es einen großen Rückgang der Stromnachfrage gibt oder noch geben wird, vergleichbar mit der Finanzkrise vor gut zehn Jahren. Auch die Emissionen aus dem Verkehr gehen zurück, aber das Institut warnt davor, sich auf diesen Messdaten auszuruhen: „Der Corona-Effekt bleibt hoffentlich ein einmaliger Effekt, vermutlich kommt es sogar zu einer nachholenden Entwicklung mit erhöhten Emissionen, wenn es gelingt die Ausbreitung des Virus schnell zu begrenzen und sukzessive zur Normalität zurückzukehren.“ Solange die Gesellschaft damit beschäftigt ist, auf die Rückkehr zur Normalität zu warten, liegt die Transformation zu sauberer Energie brach. „Aber wann, wenn nicht jetzt – in ohnehin für die Wirtschaft besonderen Zeiten – sollte eine sehr gute Gelegenheit sein, die notwendigen Transformationsprozesse zu beschleunigen und proaktiv zu begleiten. Die Zeit dafür ist reif, ansonsten ist die Gefahr groß, dass die eine Krise durch eine weitere weltweite massive Krise – die Klimakrise – abgelöst wird.“ So steht es im Bericht.
Einmalig auftretende Effekte werden die Klimazahlen in diesem Jahr verschleiern. Das ist gefährlich, wenn es keinen Rückschritt geben soll, den wir uns nicht erlauben dürfen. Zumal die Corona-Pandemie oft mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wird und ein solches Phänomen nun durch die Globalisierung und eine wärmer werdende Erde uns Menschen häufiger heimsuchen könnte. Zur Coronakrise geführt hat die weltweite Reisetätigkeit, nachdem eine zu große Nähe zu Wildtieren den Ausbruch des Virus erst möglich gemacht hatte. Der Klimawandel schlägt nicht so schnell und global gleichzeitig zu, wie das neue Coronavirus. Wir können uns trotz der schon über uns hängenden Gefahr länger in Sicherheit wiegen. Aber die Krise, die ausgelöst werden wird, könnte uns als gesamte Menschheit viel schlimmer treffen. Wenn es zu spät ist, um den Kurs noch zu verändern, kann uns auch kein kluges gesellschaftliches Handeln retten, wie es das – Stand Mitte April – gegenüber der Ausbreitung des Coronavirus noch gelingen könnte.
Der McKinsey Klimawende-Index sagt vorher, dass sich die Corona-Krise in diesem Jahr nur kurzfristig positiv auf die Klimabilanz auswirken wird. Die Klimaziele für das Jahr 2030 würden aber nur mit größeren Kurskorrekturen und enormer Anstrengung zu erreichen sein. Fünf Indikatoren der 15 untersuchten Klimaziele hält McKinsey für unrealistisch, darunter das Ziel beim Ausbau klimafreundlicher Transportnetze.
Klimaschutz – gerade jetzt
Der Chef der International Energy Agency, Dr. Fatih Birol, endet einen Artikel über die Gefahren der Coronakrise mit einem Appell an die Regierungen, jetzt nicht abzulassen vom eingeschlagenen Weg für saubere Energien – auch wenn andere Probleme im Moment drängender scheinen: „Governments can use the current situation to step up their climate ambitions and launch sustainable stimulus packages focused on clean energy technologies. The coronavirus crisis is already doing significant damage around the world. Rather than compounding the tragedy by allowing it to hinder clean energy transitions, we need to seize the opportunity to help accelerate them.” Das ist ein schwierig zu erreichendes Ziel, wenn gleichzeitig die eigene wirtschaftliche Zukunft in Frage steht. Etwas zu essen und Geld für die Miete auf dem Konto zu haben, sind immer die Bedürfnisse, die erst befriedigt werden müssen, bevor an ein so abstraktes Ziel wie den Klimaschutz gedacht werden kann.
Aus den veränderten Gewohnheiten lernen
Aber kopflose Panik und Aktionismus helfen momentan nicht weiter. Vielmehr könnte die Entschleunigung, die in einigen Bereichen zu spüren ist und vor allem nicht systemrelevante Berufsgruppen betrifft, Ideengeber sein. Luisa Neubauer von Fridays for Future macht Mut, aus den veränderten Arbeitstechniken während der Coronakrise zu lernen. Vieles, was vorher undenkbar schien, ist jetzt seit Wochen praktizierte Realität und scheint in vielen Bereichen auch zu funktionieren. Spannend wird es sein, das gesellschaftliche und ökonomische Leben wieder anlaufen zu lassen und an den vielen guten neuen Ideen festzuhalten, die wir jetzt gerade entwickeln. Und das könnte auch klimarelevante Gewohnheiten beinhalten. Der Chef der Lufthansa hat in einem Interview mit dem Spiegel (Der Spiegel, Nr. 14, 28.03.2020) durchblicken lassen, dass er nicht damit rechnet, dass es nach der Coronakrise noch so viele Geschäftsreisen geben wird, wie vorher. Die Erprobung moderner Kommunikationsmittel statt aufwändiger Reisen wird einen Wandel bringen, sagt Carsten Spohr voraus. Für Umwelt und Klima wird die Coronakrise dann positive Auswirkungen haben, wenn wir uns jetzt – während der Kontaktsperre – beobachten und unsere neuen Gewohnheiten in die Zeit danach hinüberretten.
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